
Was für Erzieherinnen praktischer Arbeitsalltag ist, war für mich ein ganz besonderer Tag.“ Achim Tüttenberg ist mächtig beeindruckt von seinem TatKraft-Einsatz in der Integrativen und Heilpädagogischen Kindertagesstätte „Heidepänz“ in Troisdorf-Altenrath. Von 7.45 bis 15.30 Uhr arbeitete er wie ein Praktikant bei den „Elefanten“, „Nilpferden“, „Bären“ und „Igeln“, wie sich die KITA-Gruppen selbst nennen. In zweien sind ausschließlich behinderte Kinder, teilweise mehrfach schwerstbehindert, in den beiden anderen jeweils 10 gesunde und 5 leichter behinderte Kinder.
„Was Erzieherinnen und Pflegerinnen Tag für Tag an körperlichem, geistigem und nervlichem Einsatz bringen, erfordert mehr Wertschätzung, als in Sonntagsreden oder Expertenpapieren zum Ausdruck kommt“, bewertet der Troisdorfer Landtagsabgeordnete die Arbeit.
„Diese Leistungsträger in unserer Gesellschaft brauchen dringend eine unterstützende Politik und eine gesetzliche Basis, die sie nicht drangsaliert, sondern ihnen die Mittel zur Verfügung stellt, die sie für eine optimale Bildung und Betreuung der Kinder benötigen.“
Um dafür den Handlungsbedarf abzustecken, hat Tüttenberg für den Abend des Einsatztages Kindergarten-Leitungen, Elternräte sowie freie Träger zu einem Fachgespräch mit der Überschrift „KiBiz kann man besser“ ins Troisdorfer Bürgerhaus eingeladen. Nach der Begrüßung durch den SPD-Kreisvorsitzenden Sebastian Hartmann tauschten unter Tüttenbergs Moderation Petra Opschondek, Gruppenleiterin der Siegburger „Kinderburg Veronika Keller“ (Träger: Jugendbehindertenhilfe), Josefine Berger als Leiterin der Altenrather „Heidepänz“ und Ingrid Hack MdL, SPD-Vertreterin in der Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“, Erfahrungen nach dem ersten kompletten Anwendungsjahr des sogenannten Kinderbildungsgesetzes KiBiz in den Einrichtungen aus.
Die Lebhaftigkeit der Diskussion zwischen Gästen und Podium machte den Stellenwert der Kinderbildung für die Politik auf allen staatlichen Ebenen deutlich. „Es fehlt an Koordination und Transparenz“, klagten Spicher Eltern, die von dem KITA-Streik in der Kriegsdorfer Straße betroffen waren. „Informationen über Notdienste für Berufstätige kamen zu spät. Aber auch sonst ist die Personalausstattung auf Kante genäht. Wenn eine Erzieherin plötzlich mal krank wird, gibt es einen Aushang, dass Eltern ab Mittag ihre Kinder besser zu Hause lassen. Wo sind wir denn hier?“
Tüttenberg bot sich als Alarm- und Protestanlaufstelle an, um über die kommunalpolitische Schiene mehr Durchschlagskraft zu verleihen. Dies wurde erfreut angenommen.
Über mehr als zwei Stunden entspannte sich eine Diskussion über den Aufwuchs an Bürokratie in den Kindertagesstätten durch das derzeitige KiBiz. „Statt dass wir unsere täglichen Erfahrungen mit den Kindern für die Beurteilung der Sprachfähigkeit vor der Einschulung nutzen können, schickt die Landesregierung Lehrer zur Beurteilung unbekannter Kinder. So sympathisch diese Lehrperson auch sein mag, sie ist für die Kinder fremd, und manches macht dann den Mund nicht mehr auf oder beginnt zu stammeln. Wie soll ein solches Verfahren ein objektives Urteil über Sprachfähigkeit von Kleinkindern ermöglichen?“ fragten die Petra Opschondek und Josefine Berger.
Die SPD-Abgeordneten versprachen eine grundlegende Änderung dieses Ablaufes, der zudem mit 24 Mio € eine enorme Geldverschwendung darstelle.
Ein anderes Diskussionsfeld sind die lebensfremden Vorschriften bei der Frühfestlegung der exakten Stundenbetreuung der Kinder lange im voraus. Heute wissen sehr viele Frauen nicht anderthalb Jahre im voraus, ob sie eine gesuchte Arbeit wirklich bekommen, ob sie die vorhandene Arbeit behalten, ob sich ihre Arbeitsstunden oder Arbeitszeiten verändern. Trotzdem müssen sie gerade jetzt wieder in diesem Monat verbindlich bis Juli 2011 die „Buchung“ für ihre Kinder mit allen finanziellen Konsequenzen vornehmen. In mehr als einem Fall ist schon ein Job dadurch über die Wupper gegangen, berichteten die Expertinnen aus Erfahrung.
Als Sparknebel drückt zudem die „Kindpauschale“ insbesondere die Elterninitiativen und freien Träger. „Da wir an feste Budgets gebunden sind, ist jede Veränderung ein hohes Risiko. Wenn z.B. die Heizkosten teurer werden, müssen wir das Geld dafür durch Spenden hereinholen. Das gleiche gilt, wenn man in besonderen Einzelfällen mit mehr Stunden helfen muss. An manchen Tagen ist man dadurch mehr mit Sponsoring als mit Kindern beschäftigt“ – so das einhellige Urteil aus der Praxis. Man könne natürlich auch erfahrene und somit teurere Erzieherinnen durch ständig neue jüngere Kräfte mit Zeitverträgen ersetzen. Ob das das richtige Signal sei?
Was selten bei offenen Einladungen und Diskussionen der Fall ist: Nicht einen Widerspruch gab es am Schluss für das Fazit. Das derzeitige Gesetz ist schlecht für Kinder, schlecht für Eltern, schlecht für die Beschäftigten, schlecht für freie Träger und schlecht für Städte und Gemeinden. „Wen wir die Vielfalt der Trägerlandschaft im Rhein-Sieg-Kreis erhalten wollen, wenn wir junge Menschen nicht vom Erzieherberuf abschrecken wollen, dann muss dieses Gesetz komplett weg und eine völlige Neubearbeitung auf den Tisch“, für dieses Schlussplädoyer erntete Achim Tüttenberg den einhelligen Beifall aller Anwesenden.